Dienstag, 8. Januar 2013

Benjamin Lebert: "Im Winter dein Herz".

Benjamin Leberts neuster Roman: "Im Winter dein Herz" erschien 2012 im Hoffmann und Campe Verlag. Es ist der sechste Roman von dem deutschen Nachwuchsschriftsteller.



Benjamin Lebert



Aufmerksam auf den Autor Benjamin Lebert wurde ich, als ich beim Stöbern in der Bibliothek auf seinen vierten Roman: "Kannst du" stieß. Ich las den Roman in einer Woche und war positiv überrascht und erfreut über die "Entdeckung" Benjamin Lebert. Sein Erstlingswerk: "Crazy", das 1999 zum Welterfolg wurde, hatte ich verpasst, damals las ich noch Karl May. :) Bei "Kannst du" gefiel mir viel: Das Tempo mit der er die Handlung vorantreibt, die direkte ehrliche Sprache. Die Protagonisten sind glaubwürdig dargestellt, Menschen voller Schwächen und Stärken, voller Eigenheiten -  durch und durch menschlich. Man kann sich in sie hereinversetzen, erkennt sich in ihnen wieder. Die Handlung hat einen roten Faden, von Anfang an bis zum Ende und nimmt den Leser mit auf einer abenteuerliche und dramatische Reise. Die Hauptperson wächst im Laufe des Romans, entwickelt sich, geht durch Tiefen und Höhen. Es ist interessant, ja, es macht Spass den Roman zu lesen. Wie gesagt, es gefiel mir viel bei "Kannst du" und ich wollte mehr von Benjamin Lebert lesen.

Als nun 2012 sein neuer Roman veröffentlicht wurde, nahm ich mir vor den Roman zu kaufen und zu lesen. Benjamin Lebert hat seine Leser lange warten lassen. Sein fünfter Roman kam 2009 (Der Flug der Pelikane)
Mit nicht geringen Erwartungen kaufte ich seinen neuen Roman in einer Buchhandlung. Der äußerliche Eindruck war: Das ist mehr eine Novelle, kein Roman. Gerade mal 150 Seiten hat der Roman.


Doch was steckt drin? Was hat der Roman zu bieten? Kann Benjamin Lebert in den 150 Seiten eine wirklich gute und interessante Handlung aufbauen? Ist es vielleicht sogar ein außergewöhnlicher Roman? Literarische Magie, brillante mitreißende Prosa, von einer der wenigen hoffnungsvollen deutschen Nachwuchsautoren.

Leider nein. Der Roman war für mich eine große Enttäuschung. Nun, ich denke Benjamin Lebert hat sich zu viel mit diesem Roman vorgenommen und ist in seinem Versuch eine große Idee zu verwirklichen gescheitert oder vielleicht hatte er nicht die Kraft oder den Wille seine Idee voll und ganz auszugestalten. Die Idee dieses Romans ist an sich gut. Im "Im Winter dein Herz" spielt die Handlung im tiefsten Winter, in einem Deutschland versunken in Eis und Schnee. Das Besondere: Es ist die Zeit des Winterschlafs für die Menschen. Die Menschen haben die Möglichkeit in den Wintermonaten drei Pillen zu nehmen und den Winter schlafend zu verbringen:

"Dass sich der Erfolg aber erst mit den dreien einstellte, die man jeweils im Abstand von zwei Wochen zu sich nahm, um den Organismus langsam auf den Schlaf einzustimmen..."

Kurz zusammengefasst geht es in diesem Roman um Folgendes. Drei junge Menschen, Robert, Kudowski und Annina, reisen zusammen durch ein verschneites Deutschland. Robert und Kodowski sind aus einem Pflegeheim abgehauen, Annina hat die Arbeit in einer Tankstelle hinter sich gelassen und sich den beiden jungen Männern angeschlossen. Robert leidet an Magersucht, das wird am Anfang des Romans deutlich:

"...Seit nunmehr vier Monaten, da er kaum in der Lage dazu war, den kinderleichten, natürlichen Vorgang des Essens zu bewerkstelligen - einen Bissen zu zerkauen und hinunterzuschlucken -, hatte er weitestgehend nur diese Getränke zu sich genommen."

Die Drei reisen also durch ein Deutschland, in dem die meisten Menschen sich in einem "Winterschlaf" befinden.
So absonderlich dieser Gedanke für den modernen Menschen auch erscheinen mag, es ist eine interessante Romanidee - alles schläft, die Welt ist stille, einsam und weiss. Durch diese Welt die Protagonisten zu schicken, birgt ein Potenzial für starke und eindrucksvolle Szenen, Geschehnisse und Botschaften. Aber nur, wenn diese Welt dem Leser auch wirklich vor Augen geführt wird, vor seinen Augen lebendig und glaubwürdig wird. Ich als Leser will nachvollziehen können, warum die Menschen diese Pillen nehmen, um einen Winterschlaf zu halten, der ihnen ja Monate ihrer Lebenszeit nimmt. Sind die Menschen so müde vom Leben, dass sie freiwillig für mehrere Monate ins Bett gehen? Es sind Fragen, die ich mir stellte beim Lesen des Romans, auf die der Roman keine Antwort gibt. Diese schlafende Winterwelt bleibt ein Entwurf, ein Schattenriss, ohne Tiefe. Sie ist unglaubwürdig - mehr diffuser Traum als Realität.

Die drei Protagonisten: Robert, Kudowski und Annina, die zusammen durch diese winterliche Welt reisen, versuchen diese stille, weiße, fremde Welt zu beleben. Doch auch sie bleiben ohne Charakter, wie Figuren in einem Marionettentheater. Man versteht als Leser nicht ihre Motive und was sie antreibt. Sie unterhalten sich untereinander in einer unnatürlichen Manier. Die wörtliche Rede erinnert mich an Kiosk-Literatur oder an Jungendromane vom Typ: "Twilight" oder "Die drei Fragezeichen", etc.
Zu Benjamin Leberts Welterfolg Crazy passte diese oberflächliche, teilweise obszöne und teilweise kindische wörtliche Rede der Protagonisten. Hier im zarten, keuschen, weissen Gebilde das der Roman Im Winter dein Herz zu sein versucht, scheint sie völlig fehl am Platz.

"Übrigens", sagte Robert, an Kudowski gewandt, "hat Megan Fox angerufen."
"Was, schon wieder?"
"Sie hat gesagt, sie hat es ein paar Mal bei dir probiert. Hat dich aber nicht erreicht.
"Ich bin nicht rangegangen. Weil sie mir immer so aufs Dach steigt. Diese Hollywood-Starlets haben einen an der Waffel. Sie will den ganzen Winter mit mir in einem Hotelzimmer verbringen. Aber ich bin lieber mit euch unterwegs.

In dieser und ähnlichen Art unterhalten sich die Drei, Unterhaltungen ohne Fülle, ohne Tiefe, ohne Konsistenz. Das passt nicht mit der Handlung zusammen. Sie unterhalten sich auf einer, wie gesagt, unnatürlichen Weise, als lasen sie aus einem schlechten Manus für einen Jugendfilm. Warum reden die so miteinander?,  fragt man sich. Glauben sie, sie befänden sich am Strand im Sommer auf einem lustigen Jugendtreffen?!

Im Winter dein Herz ist voller Melancholie und Schmerz. Der Autor möchte viel ausdrücken, er hat viel auf dem Herzen. Er möchte, denke ich, die Verletzlichkeit und Einsamkeit des Menschen schildern und Trost, Geborgenheit und Hilfe dagegen vorzeigen. Der leidene, einsame Mensch kann nur in der Obhut, im Zusammensein mit anderen Menschen Frieden und Kraft finden: Das ist eine Botschaft in diesem Roman. Ich glaube, Benjamin Lebert wollte sich mit diesem Roman von seinen bisherigen "Jugendromanen" absetzen und Tiefe und Poesie in sein literarisches Schaffen integrieren. Seine Stärke als Autor ist aber gerade dieser jugendliche, frische, ehrliche Stil und eine direkte fast banale Sprache. In Im Winter dein Herz ergeht er sich immer wieder in langen fast poetisches Beschreibungen von der Winter-Welt oder philosophische Betrachtungen von der Hauptperson, Robert. Das ist schön zu lesen, bringt die Handlung aber nicht weiter, die sozusagen nur stockend durch den dichten Schnee vorwärtskommt. Der Roman schweift immer wieder ab, schlägt Nebenwege ein, die nicht wirklich wichtig zu sein scheinen und in Sackgassen enden. So z.B. die Berichte und Erläuterungen von Personen, die Robert irgendwann mal kennenlernte oder Erinnerungen an Dinge oder Erlebnisse, von denen Leser doch eigentlich nicht zu wissen braucht.

Die große Schwäche dieses Romans ist, außer das die Winterwelt nicht zum Leben erwacht, die Handlung selbst. Die drei Protagonisten reisen zusammen durch das verschlafende Deutschland, erleben nichts besonderes und reden dabei über banale Dinge und kommen schließlich nach München. In München wird es nun endlich deutlich, was das Ziel der Hauptperson war: Seinen kranken Vater im Krankenhaus zu besuchen. Dieses Treffen soll dem Roman einen eindrucksvollen Schlusspunkt setzen, erscheint aber ohne Bedeutung. Robert erzählt seinem Vater, dass er ein in einem Fußballspiel ein Tor geschossen hat:

"Dort in der Klinik in Göttingen", begann Robert, "da hats eine kleine Turnhalle gegeben. Und ein paar Leute und ich haben da ab und zu abend Fußball gespielt. Und einmal, da hab ich...ein Tor geschossen. Das wollte ich dir unbedingt sagen. Weil ich doch...noch nie eins geschossen habe. Und ich habe gedacht, das freut dich vielleicht."

Damit endet der Roman im Leisen, ohne je überhaupt inhaltlich eine Höhe erreicht zu haben, ohne das er im Laufe der 150 Seiten ja auch nur annährend spannend oder gar dramatisch war.

Der Roman erscheint dadurch für mich als ein vielversprechender Entwurf für ein großes und interessantes Werk, was aber niemals über den bloßen Entwurf hinauskam. Der Roman ist in einem Wort zusammengefasst: Langweilig. Wie eine weiße verschneite Winterwelt, in der die Figuren nur blasse, kaum zu erkennende Schatten sind. Wo sie hingehen und warum sie da durch den Schnee stapfen bleibt ungewiss. Ja, alles in diesem Roman bleibt eine bloße Andeutung.












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