Samstag, 26. Januar 2013

Anne Weber: "Luft und Liebe".



Anne Weber
Ich habe Anne Webers 6. Roman gelesen, den im S. Fischer Verlag, im Jahre 2010, erschienenen Roman: "Luft und Liebe". Das war meine erste Bekanntschaft mit der Autorin. Ich leihe mir die Bücher, die ich lese, meistens in meiner Bibliotek aus und suche da nicht nach bestimmten Autoren, sondern nach Büchern, die mein Interesse wecken. Ich nehme hier und da ein Buch aus den Regalen, schlage es auf einer zufälligen Seite auf und lese ein paar Zeilen. Das reicht mir dann schon, das Buch dann entweder sofort wieder ins Regal zurückzustellen oder es zur "engeren Wahl" zu zählen. Diese Art der Auswahl führte auch dazu, dass Anne Weber mit mir nach Hause kam, also ihr Buch und ich im Zeitraum von 3 Wochen mit ihrer Gedanken- und Vorstellungswelt eine nähere, genauer gesagt, 188 Seiten lange Bekanntschaft machte.

Anne Weber ist eine "zweisprachige Schriftstellerin", da sie sowohl in Französisch als auch in Deutsch Romane geschrieben hat. Sie lebt in Paris, seit 1983. Ihre Verbundenheit zu Frankreich wird in ihren Werken deutlich, auch in dem Roman "Luft und Liebe". Die Handlung spielt hauptsächlich in Frankreich, in Paris und der Bretagne.

Wie der Titel dem Leser verraten mag, handelt der Roman von der Liebe. Liebesgeschichten können so vielfältig und unterschiedlich sein wie die Wolken am Himmel und dafür ist Anne Webers Roman ein Beweis. Es ist kein romantisches, klischeehaftes Liebesgesülze, keine von diesen altbekannten Liebe-storys, in denen alles nach altbekannter Manier vor sich geht: Romantische Liebe, etwas Herzenleid und alles endet mit einem "Happy-End" in mitten einem Meer von roten Rosen. Anne Webers "Luft und Liebe" ist eine ehrliche und realistische Liebesgeschichte, dadurch, durch ihren Realismus und durch ihren Mut ist sie interessant und lesenswert. 


Der Roman berstet vor Kreativität der Autorin und einer spielerischen sprachlichen Lebhaftigkeit. Sie schreibt in Erster-Person, aber benutzt, voralledem zu Anfang des Romans, die Romanfigur Lea, um das "Ich" zeitweise zu ersetzen. Ihre Erklärung dafür ist einfach:

"Um Armer Ritter schreiben zu können, hatte ich mich aufgespalten in eine Person, die "mitten im Leben" steht und der die unerhörtesten Dinge widerfahren (Lea), und in eine zweite (mich), die im windstillen Auge eines lärmenden Grossstadzyklons an ihrem Schreibtisch sitzt, oft tagelang keinen Menschen sieht und schreibt und übersetzt und wieder schreibt..."

Diese Aufspaltung nimmt sie vor, um, so sagt sie mehre Male im Laufe des Romans, sich zu trauen diese Liebesgeschichte zu erzählen und das was ihr, der Hauptperson des Romans, vorgefallen ist. Ich als Leser fand das sehr amüsant, wie die Autorin, also die Ich-Person, immer wieder, wie zum Schutz der eigenen Seele, in diese erdachte Romanfigur Lea schlüpfte, um die Widrigkeiten und Gemeinheiten, die ihr in dieser Liebesgeschichte zu Teil werden, zu ertragen:

"Wenn ich Lea trotzdem bitte, mich wenigstens am Anfang der Geschichte nicht im Stich zu lassen und wie eine treue Schwester an meiner Seite zu bleiben, dann nicht, weil ich sie als Tarnung brauche könnte; eher schon als Krankenschwester oder jedenfalls als Stütze."

Glaubte ich Anfangs, dieser Einfall sei zur Erheiterung der Leser gedacht, wird einem, desto tiefer man in diese Liebesgeschichte vordringt, desto mehr sich die Einzelheiten und Tatsachen offenbaren, klar: Diese Lea ist kein lustiger Einfall, sie ist eine Art gute Freundin oder Schwester, mit der die Autorin ihr Herzensleid teilt, um es erträglicher zu machen.

Neugierig geworden auf die Handlung?!
Nun in Kürze zusammengefasst: Es wird im Roman von zwei Liebesverhältnissen erzählt, die die Hautperson hat. Das erste Verhältnis ist mit einem Vladimir. Innerhalb von den ersten 10 Seiten, fast im Zeitraffer, wird dieses Verhältnis nacherzählt: Ein kurzes und unglückliches chaotisches Verhältnis ist es: Heftige Liebe, Heirat dann Scheidung und ein äußerst unangenehmes Nachspiel:

"...doch noch zur Trennung und nach der Trennung zu einem alptraumartigen Nachspiel gekommen war, in welchem Vladimir sich von dem einem Tag an, als Lea sich endgültig von ihm abkehrte, in ein Ungeheuer, einen Wahnsinningen, einen Tollwütigen verwandelte..."

Mit diesem missglückten Verhältnis als Vorgeschichte beginnt dann die eigentliche Geschichte: Wie die Hauptperson einen neuen Mann kennenlernt, ein Verhältnis mit ihm eingeht, dieses Verhältnis sich dann über Jahre hinweg entwickelt und schließlich in einer "Katastrophe" endet.

Der Mann heisst Enguerrand, ist französischer Adelsmann und wohnt scheinbar ganz für sich allein in einem alten Schloss, in mitten unberührter Natur in der schönen Bretagne. Das Verhältnis zwischen den beiden beginnt wie ein "Liebestraum",  die Hauptdarstellerin meint sich in einer Art Märchen versetzt. Alles scheint traumhaft und harmonisch. Die Frau zieht zum Mann ins Schloss, sie planen eine gemeinsame Zukunft zusammen. Sie wollen ein Kind, und trotz das sie beide schon im fortgeschrittenen Alter sind, versuchen sie ein Kind zu zeugen, was aber nicht gelingen will. Alle Möglichkeiten werden ausgeschöpft, so stark ist der Kinderwunsch, das die Beiden sich an die Medizin wenden, damit der Natur nachgeholfen wird:

"Um dem Wunder ein bisschen auf die Beine zu helfen, war ein Hürdenlauf von einem Frauenarzt zum anderen, waren Blut- und Spermaproben und Ultraschalluntersuchunge vonnöten..."

Doch der Kinderwunsch bleibt unerfüllt, Mann und Frau aber scheinbar guter Dinge und die Liebe zwischen ihnen besteht. Das Irgendwas doch nicht in Ordnung ist und das eine Katastrophe kurz bevor steht, etwas ganz Ungeheuerliches passieren wird, wird dem Leser durch Andeutungen der Protagonisten klar und doch kommt das Ende überraschend - der Märchenbalong platzt so plötzlich und so heftig, das man erschrickt. Zwar ahnte man schon im Vorraus, das die Ursachen für den unerfüllten Kinderwunsch nicht nur das fortgeschrittene Alter der beiden ist, das da noch was anderes ist, etwas unter der schönen heilen Oberfläche verborgen, etwas das ein Kind nicht will. An dem alles entscheidenen Tag, als der Mann für eine künstliche Befruchtung sein Sperma in einem Labor "abgeben" soll, weigert er sich und läuft weg. Warum?

"Sie glaubt, noch nie vor einem grösseren Rätsel gestanden zu haben..
....Was hat es mit der masslosen Liebe dieses Märchenprinzen oder -ritters auf sich? Was ist aus ihr geworden? Kann es sein, dass ihr zum fertigen Bild ein Steinchen fehlt? Oder gibt es vielleicht gar kein Rätsel, gar kein fertiges Bild? Ist alles ganz einfach? Liebe vergeht?"

Er kommt mit Ausreden und fadenscheinigen Erklärungen, sie versuchen es ein zweites Mal. Wieder scheitert es an ihm. Die Frau, zurück in Paris in ihrer Wohnung, hört nichts mehr von ihm. Als sie zu ihm in die Bretage fährt, offenbart sich ihr dann die volle brutale Wirklichkeit: Der Mann ist verheiratet und seine Frau im 7. Monate schwanger.

Damit sind wir auch schon am Ende der Liebesgeschichte und am Ende des Romans angekommen. In den letzten kurzen Kapiteln geht es für die Frau darum, die Trennung und das gescheiterte Verhältnis zu verarbeiten. Es gelingt ihr, worüber man als Leser fast erleichtert ist, denn es wäre wahrlich eine Tragödie, sollte die Frau wegen einem solchem Mann aus dem Leben aussteigen. Der Kontakt zwischen den Beiden endet abrupt, was in einer Weise typisch ist für missglückte Verhältnisse. Eine Beziehung, die auf eine Lüge gebaut war, aus solch einer Beziehung wollen Beide nur noch entfliehen. Noch gestern lag man sich in den Armen und zwei Wochen später ist jeglicher Kontakt abgebrochen. Symbolisch für die Unbeständigkeit der Liebe oder die Unfähigkeit des Menschen zu lieben?!

Der Roman greift unter anderem die Frage auf: Was ist Liebe? Eine Frage zu der wir alle einen Bezug haben. So wie die Protagonistin im Roman beginnen wir Verhältnisse immer wieder voll romantischer Überzeugung, das dies die große Liebe ist - eine reine, tiefe nie endende Liebe. Wir setzen alle unsere Karten auf dieses Verhältnis, auf diese eine Person und bauen Luftschlösser in unsere Phantasie. Doch was bedeutet zu lieben?

"Für den anderen da sein, ihn glücklich sehen wollen, das sei Liebe, erwiderte er."

Das mag unweigerlich die Definition wahrer Liebe sein. Doch inwieweit bestehen und funktionieren Liebesverhältnisse nach diesem Ideal? Von welchen Motiven werden sie wirklich vorangetrieben und genährt? Die Handlung des Romans, diese beiden missglückten Verhältnisse, geben dem Leser zu denken, nachzudenken über diese Liebesverhältnisse zwischen Mann und Frau. Werden wir mehr von unseren Instinkten, Gefühlen und teilweise egoistischen Motiven geleitet als von fürsorglicher Liebe für den Partner?
Und wie gut glauben wir einen Menschen zu kennen, mit dem wir in einem solchen nahen intimen Verhältnis sind. Vermögen wir bis in die Seele des Anderen vorzudringen oder sind wir eigentlich außerstande, trotz der körperlichen Intimität, wirklich eine tiefere Verbindung zum Partner einzugehen? Der Roman macht deutlich, dass Verhältnisse, besonders anfänglich, Märchen sind, aus heftigen Gefühlen und Hoffnungen aufgeblasene Luftblasen, die zerplatzen sobald die "blinde Liebe" vorüber ist und wir wieder sehen können.

"Ich bin im wirklichen Leben gelandet, denkt sie, und im wirklichen Leben lügen Menschen, mitunter sind sie schwach und feige und für sich selber und andere eine Enttäuschung."

Anne Weber, ist meiner Meinung nach, ein ganz wunderbarer, eindrucksvoller, teilweise auch sehr amüsanter, Roman gelungen. Da steckt eine Menge Ehrlichkeit und Realismus drin. Ich sage mal so: Wenn ein Unerfahrener die Höhen und Tiefen, die Wahrheiten und Lügen, der menschlichen Liebe zwischen Mann und Frau erfahren will und die Illusion, die er vielleicht über Liebesverhältnisse mit sich rum trägt, ein für alle mal aufheben will, hat er die Wahl: Ein Liebesverhältnis einzugehen oder diesen Roman zu lesen.





Dienstag, 8. Januar 2013

Benjamin Lebert: "Im Winter dein Herz".

Benjamin Leberts neuster Roman: "Im Winter dein Herz" erschien 2012 im Hoffmann und Campe Verlag. Es ist der sechste Roman von dem deutschen Nachwuchsschriftsteller.



Benjamin Lebert



Aufmerksam auf den Autor Benjamin Lebert wurde ich, als ich beim Stöbern in der Bibliothek auf seinen vierten Roman: "Kannst du" stieß. Ich las den Roman in einer Woche und war positiv überrascht und erfreut über die "Entdeckung" Benjamin Lebert. Sein Erstlingswerk: "Crazy", das 1999 zum Welterfolg wurde, hatte ich verpasst, damals las ich noch Karl May. :) Bei "Kannst du" gefiel mir viel: Das Tempo mit der er die Handlung vorantreibt, die direkte ehrliche Sprache. Die Protagonisten sind glaubwürdig dargestellt, Menschen voller Schwächen und Stärken, voller Eigenheiten -  durch und durch menschlich. Man kann sich in sie hereinversetzen, erkennt sich in ihnen wieder. Die Handlung hat einen roten Faden, von Anfang an bis zum Ende und nimmt den Leser mit auf einer abenteuerliche und dramatische Reise. Die Hauptperson wächst im Laufe des Romans, entwickelt sich, geht durch Tiefen und Höhen. Es ist interessant, ja, es macht Spass den Roman zu lesen. Wie gesagt, es gefiel mir viel bei "Kannst du" und ich wollte mehr von Benjamin Lebert lesen.

Als nun 2012 sein neuer Roman veröffentlicht wurde, nahm ich mir vor den Roman zu kaufen und zu lesen. Benjamin Lebert hat seine Leser lange warten lassen. Sein fünfter Roman kam 2009 (Der Flug der Pelikane)
Mit nicht geringen Erwartungen kaufte ich seinen neuen Roman in einer Buchhandlung. Der äußerliche Eindruck war: Das ist mehr eine Novelle, kein Roman. Gerade mal 150 Seiten hat der Roman.


Doch was steckt drin? Was hat der Roman zu bieten? Kann Benjamin Lebert in den 150 Seiten eine wirklich gute und interessante Handlung aufbauen? Ist es vielleicht sogar ein außergewöhnlicher Roman? Literarische Magie, brillante mitreißende Prosa, von einer der wenigen hoffnungsvollen deutschen Nachwuchsautoren.

Leider nein. Der Roman war für mich eine große Enttäuschung. Nun, ich denke Benjamin Lebert hat sich zu viel mit diesem Roman vorgenommen und ist in seinem Versuch eine große Idee zu verwirklichen gescheitert oder vielleicht hatte er nicht die Kraft oder den Wille seine Idee voll und ganz auszugestalten. Die Idee dieses Romans ist an sich gut. Im "Im Winter dein Herz" spielt die Handlung im tiefsten Winter, in einem Deutschland versunken in Eis und Schnee. Das Besondere: Es ist die Zeit des Winterschlafs für die Menschen. Die Menschen haben die Möglichkeit in den Wintermonaten drei Pillen zu nehmen und den Winter schlafend zu verbringen:

"Dass sich der Erfolg aber erst mit den dreien einstellte, die man jeweils im Abstand von zwei Wochen zu sich nahm, um den Organismus langsam auf den Schlaf einzustimmen..."

Kurz zusammengefasst geht es in diesem Roman um Folgendes. Drei junge Menschen, Robert, Kudowski und Annina, reisen zusammen durch ein verschneites Deutschland. Robert und Kodowski sind aus einem Pflegeheim abgehauen, Annina hat die Arbeit in einer Tankstelle hinter sich gelassen und sich den beiden jungen Männern angeschlossen. Robert leidet an Magersucht, das wird am Anfang des Romans deutlich:

"...Seit nunmehr vier Monaten, da er kaum in der Lage dazu war, den kinderleichten, natürlichen Vorgang des Essens zu bewerkstelligen - einen Bissen zu zerkauen und hinunterzuschlucken -, hatte er weitestgehend nur diese Getränke zu sich genommen."

Die Drei reisen also durch ein Deutschland, in dem die meisten Menschen sich in einem "Winterschlaf" befinden.
So absonderlich dieser Gedanke für den modernen Menschen auch erscheinen mag, es ist eine interessante Romanidee - alles schläft, die Welt ist stille, einsam und weiss. Durch diese Welt die Protagonisten zu schicken, birgt ein Potenzial für starke und eindrucksvolle Szenen, Geschehnisse und Botschaften. Aber nur, wenn diese Welt dem Leser auch wirklich vor Augen geführt wird, vor seinen Augen lebendig und glaubwürdig wird. Ich als Leser will nachvollziehen können, warum die Menschen diese Pillen nehmen, um einen Winterschlaf zu halten, der ihnen ja Monate ihrer Lebenszeit nimmt. Sind die Menschen so müde vom Leben, dass sie freiwillig für mehrere Monate ins Bett gehen? Es sind Fragen, die ich mir stellte beim Lesen des Romans, auf die der Roman keine Antwort gibt. Diese schlafende Winterwelt bleibt ein Entwurf, ein Schattenriss, ohne Tiefe. Sie ist unglaubwürdig - mehr diffuser Traum als Realität.

Die drei Protagonisten: Robert, Kudowski und Annina, die zusammen durch diese winterliche Welt reisen, versuchen diese stille, weiße, fremde Welt zu beleben. Doch auch sie bleiben ohne Charakter, wie Figuren in einem Marionettentheater. Man versteht als Leser nicht ihre Motive und was sie antreibt. Sie unterhalten sich untereinander in einer unnatürlichen Manier. Die wörtliche Rede erinnert mich an Kiosk-Literatur oder an Jungendromane vom Typ: "Twilight" oder "Die drei Fragezeichen", etc.
Zu Benjamin Leberts Welterfolg Crazy passte diese oberflächliche, teilweise obszöne und teilweise kindische wörtliche Rede der Protagonisten. Hier im zarten, keuschen, weissen Gebilde das der Roman Im Winter dein Herz zu sein versucht, scheint sie völlig fehl am Platz.

"Übrigens", sagte Robert, an Kudowski gewandt, "hat Megan Fox angerufen."
"Was, schon wieder?"
"Sie hat gesagt, sie hat es ein paar Mal bei dir probiert. Hat dich aber nicht erreicht.
"Ich bin nicht rangegangen. Weil sie mir immer so aufs Dach steigt. Diese Hollywood-Starlets haben einen an der Waffel. Sie will den ganzen Winter mit mir in einem Hotelzimmer verbringen. Aber ich bin lieber mit euch unterwegs.

In dieser und ähnlichen Art unterhalten sich die Drei, Unterhaltungen ohne Fülle, ohne Tiefe, ohne Konsistenz. Das passt nicht mit der Handlung zusammen. Sie unterhalten sich auf einer, wie gesagt, unnatürlichen Weise, als lasen sie aus einem schlechten Manus für einen Jugendfilm. Warum reden die so miteinander?,  fragt man sich. Glauben sie, sie befänden sich am Strand im Sommer auf einem lustigen Jugendtreffen?!

Im Winter dein Herz ist voller Melancholie und Schmerz. Der Autor möchte viel ausdrücken, er hat viel auf dem Herzen. Er möchte, denke ich, die Verletzlichkeit und Einsamkeit des Menschen schildern und Trost, Geborgenheit und Hilfe dagegen vorzeigen. Der leidene, einsame Mensch kann nur in der Obhut, im Zusammensein mit anderen Menschen Frieden und Kraft finden: Das ist eine Botschaft in diesem Roman. Ich glaube, Benjamin Lebert wollte sich mit diesem Roman von seinen bisherigen "Jugendromanen" absetzen und Tiefe und Poesie in sein literarisches Schaffen integrieren. Seine Stärke als Autor ist aber gerade dieser jugendliche, frische, ehrliche Stil und eine direkte fast banale Sprache. In Im Winter dein Herz ergeht er sich immer wieder in langen fast poetisches Beschreibungen von der Winter-Welt oder philosophische Betrachtungen von der Hauptperson, Robert. Das ist schön zu lesen, bringt die Handlung aber nicht weiter, die sozusagen nur stockend durch den dichten Schnee vorwärtskommt. Der Roman schweift immer wieder ab, schlägt Nebenwege ein, die nicht wirklich wichtig zu sein scheinen und in Sackgassen enden. So z.B. die Berichte und Erläuterungen von Personen, die Robert irgendwann mal kennenlernte oder Erinnerungen an Dinge oder Erlebnisse, von denen Leser doch eigentlich nicht zu wissen braucht.

Die große Schwäche dieses Romans ist, außer das die Winterwelt nicht zum Leben erwacht, die Handlung selbst. Die drei Protagonisten reisen zusammen durch das verschlafende Deutschland, erleben nichts besonderes und reden dabei über banale Dinge und kommen schließlich nach München. In München wird es nun endlich deutlich, was das Ziel der Hauptperson war: Seinen kranken Vater im Krankenhaus zu besuchen. Dieses Treffen soll dem Roman einen eindrucksvollen Schlusspunkt setzen, erscheint aber ohne Bedeutung. Robert erzählt seinem Vater, dass er ein in einem Fußballspiel ein Tor geschossen hat:

"Dort in der Klinik in Göttingen", begann Robert, "da hats eine kleine Turnhalle gegeben. Und ein paar Leute und ich haben da ab und zu abend Fußball gespielt. Und einmal, da hab ich...ein Tor geschossen. Das wollte ich dir unbedingt sagen. Weil ich doch...noch nie eins geschossen habe. Und ich habe gedacht, das freut dich vielleicht."

Damit endet der Roman im Leisen, ohne je überhaupt inhaltlich eine Höhe erreicht zu haben, ohne das er im Laufe der 150 Seiten ja auch nur annährend spannend oder gar dramatisch war.

Der Roman erscheint dadurch für mich als ein vielversprechender Entwurf für ein großes und interessantes Werk, was aber niemals über den bloßen Entwurf hinauskam. Der Roman ist in einem Wort zusammengefasst: Langweilig. Wie eine weiße verschneite Winterwelt, in der die Figuren nur blasse, kaum zu erkennende Schatten sind. Wo sie hingehen und warum sie da durch den Schnee stapfen bleibt ungewiss. Ja, alles in diesem Roman bleibt eine bloße Andeutung.